Ein Text von Karin Bruns (ehem. Soltani)

Der mit den Grizzlys tanzt

Ein Interview mit Tierfilmer Andreas Kieling

(BärReport, 3-2010)

 

Ein Bär schaute traurig durch die Gitterstäbe seines Käfigs – als Kind stand Andreas Kieling im Zoo davor. Später suchte er die Nähe der Bären in freier Wildbahn, lebte viele Jahre lang nahe bei Grizzlys in Kanada. Heute reist Andreas Kieling als einer der bekanntesten Tierfilmer und Autoren durch die Welt und bringt uns die wilden Tiere ins Wohnzimmer. Zwischen der Rückkehr aus Südafrika und einem Filmprojekt in der Eifel nahm sich Andreas Kieling Zeit für ein Gespräch mit dem BärReport.

 

BärReport:

Herr Kieling, Sie haben 14 Jahre mit Grizzlys gelebt. Haben Sie nie Angst um Ihr Leben gehabt?

Andreas Kieling:

Wenn ich so agiert hätte, wie man landläufig glaubt, mit Bären umgehen zu können, dann würde ich nicht mehr leben. Man darf nicht glauben, der Bär ist mein Freund. Bären sind unsoziale Tiere, das einzige soziale Verhalten zeigen sie in den drei Jahren, in denen sich die Mutter um ihre Jungen kümmert. Ansonsten treffen Bären höchstens zufällig zur Nahrungsaufnahme oder zur Paarung aufeinander.

 

Wie können Bären dann gemeinsam in Gehegen wie zum Beispiel im Bärenpark Worbis leben?

Da gibt es erst einmal Rangordnungskämpfe. Aber in der Wildnis trifft man auf 80 bis 100 Quadratkilometern, manchmal sogar auf einer Fläche bis zu 500 Quadratkilometern nur auf einen Bären. Sie ziehen den Lachsen hinterher und lernen das, was ihre Mutter – nicht der Vater – ihnen zeigt. Es kann vorkommen, dass die eigenen Väter ihre Jungen fressen. Es geht immer um Dominanz und Rangordnung.

 

Wie haben Sie es geschafft, nicht gefressen zu werden?

Bären betrachten mich als Neutrum. Für sie gehöre ich nicht zum Beutespektrum. Es kann schon mal Unfälle geben, da spielt Futterneid eine Rolle. Wenn ein Jäger zum Beispiel etwas gejagt hat, und der Bär es auch haben will. Aber ich habe immer die Nähe zu den Bären gesucht. Und wenn ich die Spielregeln einhalte, komme ich mit ihnen aus.

 

Was sind das für Spielregeln?

Wer mit Bären lebt, muss wissen, dass es Energiesparer sind. Das bedeutet: Möglichst wenig bewegen und viel schlafen und fressen. Ich habe in ihrer Nähe gezeltet, meinen Trail gebaut und dann 24 Stunden, 3 bis 4 Monate alleine, manchmal mit einem Kameramann, bei ihnen gelebt. Man muss darauf achten, seine Lebensmittel bärensicher aufzubewahren, zum Beispiel in Metallcontainern die als bear proof – bärensicher – gekennzeichnet sind. Anfangs hat mich das sehr viel Vorbereitungszeit gekostet, aber nach 14 Jahren entwickelt man eine gewissen Routine. Es entsteht ein gewissens Vertrauensverhältnis. Ich spreche mit den Bären, und sie sind entspannt. Wenn man Bären viel beobachtet, stellt man fest, dass es ängstliche Bären gibt und sehr selbstbewusste. Ich lasse den Bären entscheiden, wie weit er sich mir nähern will.

 

Das erfordert viel Einfühlungsvermögen.

Mit Sicherheit. Bären, die ich nicht kenne, beobachte ich erst mal mit dem Fernglas. Dann kommt der spannende Moment, wenn sie Witterung aufnehmen. Aber viele Bären kennen mich auch wieder – an meinem Geruch oder meiner Stimme.

 

Man sagt, dass Bären sehr intelligent sind.

Bären haben ein Elefantengedächtnis. Sie erinnern sich an jede schlechte Erfahrung die sie zum Beispiel mit einem Jäger oder Kugeln gemacht haben. In der tierischen Intelligenz stehen sie ganz oben – im Positiven wie im Negativen. Sie haben super Sinne, eine sehr gute Nase, sind hervorragende Spurenleser. Aber sie können auch sehr aggressiv werden. Nicht umsonst ist der Bär neben Wolf und Adler das beliebteste Totemtier der Naturvölker. Und der Bär wurde nie wirklich gejagt, er galt schon immer als sehr gefährlich und unantastbar.

 

Ist der gutmütige freundliche Bär ein Mythos?

Wir modernen Menschen haben seitdem es Ackerbau und Viehzucht gibt immer versucht, ihn in unsere Welt zu integrieren. Wir haben ihm menschliche Eigenschaften angedichtet wie Verschlagenheit oder Hinterlistigkeit.

 

Mit ihrem Sohn waren Sie zweimal am Yukon. Wie groß haben Sie das Risiko eingeschätzt, mit einem Kind in die Wildnis zu gehen?

Mein Sohn Erik war 9 als ich ihn zum ersten Mal mitgenommen habe, beim zweiten Mal war er 12. Das Risiko ist nicht größer als mit ihm auf dem Motorrad auf der Autobahn zu fahren. Es kommt immer darauf an, wie fit und sicher man selbst ist. Meinem Sohn war es ein Bedürfnis. Wir waren dreieinhalb Monate unterwegs. Weil er dort mehr lernte als die Schule es ihm je geben könnte, durften wir ihn aus der Schule abmelden. Allerdings mussten wir ein Lernprogramm mitnehmen. Es war eine einschneidende Erfahrung für ihn, mit seinem Vater so eng in der Wildnis zusammen zu sein. Auf einem Segelboot fernab von Nintendo, Playstation und McDonalds.

 

Hat ihn das geprägt?

Positiv, ja. Wir haben seitdem ein fast brüderliches Verhältnis. Er hat viel über das Zusammenleben von Mensch, Tier und Natur gelernt, ist jetzt mit 16 Jahren souverän und selbstständig. Mein jüngerer Sohn Thore war auch schon zwei Mal mit in Alaska. Aber er wünscht sich die Welt gerne heil – die Wildnis ist ihm zu pragmatisch.

 

Was sagen Sie als jemand der die Natur achtet zu einem solch gigantischen Ölunfall in Luisiana?

Das zeigt einmal mehr, dass die Erde vom Menschen extrem dominiert wird. Tieren wird der Lebensraum entzogen oder man drängt sie zurück in entlegene Gebiete. Wir sind eine der aggressivsten Arten die es gibt. Ich gehe oft in Schulen, weil es mir ein Bedürfnis ist, den jungen Leuten ihre Umwelt näher zu bringen. Aber ohne den Zeigefinger zu heben. Das machen wir in unseren Filmen nie. Es ist immer nur eine Anregung zum Nachdenken.

 

 

Verlosung

„Bären, Lachse, Wilde Wasser“ und „Meine Expeditionen zu den letzten ihrer Art“ heißen die beiden Bücher, die von Andreas Kieling im Piper Verlag (Malik) erschienen sind. Im ersteren erzählt Kieling, wie er mit seiner Familie durch Kanada und Alaska reist, den 3200 Kilometer langen Fluss Yukon entlang bis zur Beringsee. Im zweiten, neuesten Buch schildert Kieling seine Expeditionen zu den letzten Löwen Asiens, den vom Aussterben bedrohten Berggorillas Zentralafrikas, stark bedrohten Schneeleoparden und Eisbären, denen ihr Lebensraum wegschmilzt. Von beiden Büchern verlosen wir je drei Exemplare: Schicken Sie bis zum 10. Oktober eine Postkarte an den BärReport, Stichwort: Andreas Kieling + Buchtitel, Venloer Str. 686, 50827 Köln.

 

Andreas Kieling: Deutschlands Tierexperte Nr. 1

Andreas Kieling wurde 1959 in Gotha geboren, floh mit sechzehn aus der DDR und bereist seit 1990 als vielfach preisgekrönter Dokumentarfilmer die Welt. Vor allem Wildtieren wie Grizzlybären kam er besonders nahe. Mehrere Monate im Jahr ist Andreas Kieling auf Expeditionen und Drehreisen rund um den Globus unterwegs. Den Rest der Zeit lebt er mit seiner Frau Birgit und den Söhnen Erik und Thore auf einem Bauernhof in der Eifel. Fernsehzuschauern ist er durch vielfältige TV-Auftritte als Deutschlands Tierexperte Nr. 1 bekannt (Terra X, Johannes B. Kerner, Tigerentenclub u.a.). Zuletzt wurde er mit dem Panda Award, dem Oscar des Tierfilms ausgezeichnet. Mehr über Andreas Kieling erfährt man unter http://www.andreas-kieling.de/.